2024-09-29 03:28

Der lange Weg zurück nach Roth

Work-Life-Balance für Fortgeschrittene.

--- Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nützen ---
(Lucius Annaeus Seneca, Von der Kürze des Lebens 1, 3)
Sonntag, 8. März 2009
41. Engadiner Skimarathon
Quelle: www.engadin-skimarathon.de
Themengruppe: Wettkämpfe
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Am 2. Februarwochenende herrscht im Oberengadin immer der verkehrstechnische Overkill. Praktisch alle Strassen sind für den Individualverkehr gesperrt. Man kommt nur noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln voran. Hierfür werden extra an diesem Tag hunderte von Bussen aus dem ganzen Bündner Land ins Engadin gekarrt um die fast 12.000 Starter an den Start zu bringen. Alles ist genau reglementiert, wir sind ja schließlich in der Schweiz. Für uns war um 6:45 Abfahrt der Bahn, die uns von Celerina zum Kopfbahnhof nach St. Moritz bringen sollte. Von dort ging´s dann unmittelbar mit einem der schon erwähnten Buskolonne weiter nach Maloia, wo wir dann gegen 7:40 ausgesetzt wurden. Unser Start war für 9:20 vorgesehen. So hatten wir also gut 2 Stunden Zeit uns den A.... abzufrieren, denn Unterstellmöglichkeiten oder gar eine beheizte Wartehalle gibt´s in Maloia keine. Völlige Fehlanzeige.
Es herrschte ein doch deutlich spürbarer Wind, bei sagenhaften Minus 21 Grad (Das waren damit genau 42 Grad weniger als eine Woche vorher bei unserem Abflug aus Zypern). Wir kannten den Schmarrn mit der ewigen Warterei ja schon vom Vorjahr und so hatten wir uns entsprechend warm eingepackt. Trotzdem kroch die Kälte in Hände und Füße und machte den Morgen zu reinsten Folter. Von den Dixies erzähle ich jetzt besser einmal nichts. Es gibt Dinge, die will man einfach vergessen. Wie gesagt: Minus 21 Grad und 30 Minuten Wartezeit im schneidenden Wind, bevor man dann... .
Gegen 8:30 überflutete dann endlich die Sonne den Startbereich und wir machten uns rennfertig, schnürten die Kleiderbeutel, gaben diese ab und marschierten ungefähr 1500 Meter bis zum eigentlichen Startbereich auf dem zugefrorenen Silser See. Hier trennten sich unsere Wege, denn meine bessere Hälfte hatte sich nur für die halbe Distanz angemeldet und zog es richtigerweise vor, im für Frauen abgesperrten Startbereich loszufahren.
Ich konnte mir noch einen guten Startplatz in der dritten Reihe sichern, zwar ein bisschen blöd hinter einem Pfosten, aber immer noch gut brauchbar. Ja und dann wurde eine halbe Stunde richtig eingeheizt. Lustigerweise war der Soundtrack dem von Roth alles andere als unähnlich. Aber das macht ja nichts, die Songs reißen einen einfach mit. Zwischendrin gab´s immer mal wieder kurze Streckeninformationen oder das allseits so beliebte Warm-Up-Aerobic-Programm.
Pünktlich auf die Sekunde ging´s los und ich merkte schon nach 100 Metern, daß das heute mit den eigentlich angepeilten 2.45 nichts werden würde. Dafür war der Schnee auf den Seen zu stumpf und wohl auch viel zu kalt für mein Wachs. Ich hätte locker noch Fluor-Pulver aufbügeln können. Statt wie im letzten Jahr mit einem guten 20-er Schnitt ging es heute gerade einmal mit 16km/h dahin. Gut, statt Rückenwind gab es diesmal auch leichten Gegenwind, aber das war nicht ausschlaggebend. Auf jeden Fall kosteten mir die Verhältnisse richtig Kraft, um die Ski einigermassen am Gleiten zu halten. Den meisten ging es aber noch wesentlich schlechter als mir und zu meiner größen Überraschung sammelte ich bereits noch vor Sils die ersten Starter der 20 Minuten vor mir gestarteten roten Gruppe ein. Wie um alles in der Welt kommt man nur an diese Startplätze?
Ab Champfer steckte ich dann mitten in einer Traube roter Startnummern. Diejenigen der blauen Gruppe, die mit mir ein bisschen auf´s Tempo gedrückt hatten, hatten sich gnadenlos im roten Hauptfeld festgefahren. Wie üblich ging´s dann zur Schanze im Gänsemarsch hoch. Doch auch danach wurde es nicht mehr besser. Praktisch bis Pontresina konnte man nur noch einzelne Plätze gutmachen, zu dicht war das Feld. In der Auswertung habe ich dann nachgelesen, dass ich allein in dieser Phase des Rennens von einem Platz unter 4000 auf einen knapp unter 5000 zurückgefallen bin. Das sind über 1000 Plätze, die ich nach hinten durchgereich wurde. Ab der Muottas Muragls-Bahn, hinter Pontresina, entzerrte sich dann das Feld wieder und weil die Schneetemperaturen, dank der nun immer intensiver scheinenden Sonne, nun auch besser zu meinem Wachs passten, waren die nächsten 5 Kilometer einfach nur geil. Skaten “at ist best”. Doch ab La Punt dann wieder das gleiche Bild wie im Staz-Wald. Bereits vor dem kleinsten Hügel bildete sich ein undurchdringliche Barriere.
Dies war doppelt bitter für mich, denn normalerweise fahre ich auf “kleine Schnapper” mit erhöhter Geschwindigkeit zu und “drücke sie durch”, übrigens ganz genauso wie ich es auch gern mit dem Bike mache. Diese (für mich) kraftsparende Taktik konnte ich nun nicht mehr anwenden. Das hieß: Abstoppen, und praktisch aus dem Stand langsam hinter anderen Läufern den Berg hochsteigen. Beim Gleitenlassen der Ski wäre man unweigerlich ständig jemandem auf den Ski gestanden. Ich hatte schon in Pontresina gemerkt, das mir das ganz schön die Kraft aus den Armen und Beinen saugte. Aber so ab KM 35 merkte ich es dann extrem. Auf einmal war der Ofen aus und ich selbst kam keinen Berg mehr vernünftig hoch, solange ich keine freie Bahn hatte, und die hatte ich praktisch nie. Das unkoordinierte Getrampel im Schnee setzte mir immer mehr zu, so dass ich doch auf den letzten 3-4 Kilometern mehrfach kurze Standpausen einlegen mußte, die letzte demütigenderweise 100 Meter vor dem Ziel.
Im Ziel war ich völlig platt, mit Tunnelblick, Zittern, Schwanken und allem, was dazugehört. Statt der eigentlich anvisierten 2.45 wurden es ziemlich genau ein halbe Stunde mehr.
Ich hätte mir noch gestern nicht träumen lassen, dass mich der Engadiner so mitnimmt. Nach 5 Minuten war ich dank Brühe und Rivella aber schon wieder soweit o.k., daß ich nach dem Abholen des Kleiderbeutels beschloss, gleich ins Hotel zurückzufahren. Dazu muß man sich am Ziel eine Platzkarte besorgen, die einem den nächsten freien Zug zuweist. Mußte ich im letzten Jahr noch gut eine Stunde warten, so ergatterte ich heute eine der allerletzten Karten für den gerade einrollenden Zug. Wahrscheinlich aus ausgleichender Gerechtigkeit bekam ich dann sogar noch einen Platz in der ersten Klasse zugewiesen und so ging es dan First-Class mit dem Weltkulturerbe-Zug zurück durchs schöne Oberengadin nach Pontresina. Dafür zahlen manche richtig viel Geld. Um 14.00 Uhr, also etwa 7 Stunden nach der Abfahrt war ich dann zurück.
Was bleibt als Fazit: unbedingt versuchen, in eine passenden Stargruppe zu kommen. Sonst kann der Spaß schon erheblich getrübt werden. Wenn ich will kann ich nun im nächsten Jahr in der roten Startgruppe an den Start gehen. Dafür hat meine Zeit schließlich noch locker gereicht. Wenn ich aber einigermassen so hätte fahren können, wie bei uns daheim im Training, wäre wohl locker noch eine weitere Stargruppe drin gewesen. Zur Hauptgruppe A hätte gerade einmal ein Viertelstündchen gefehlt. Und die habe ich allein in der verschiedenen Staus zugebracht.

Weniger Glück haben wir allerdings mit unserer Planung für morgen. Eigentlich wäre ein Skitour oder Schneeschuhtour auf dem Programm gestanden. 3 gesetztere Locals warten uns aber mit sehr eindringlich Worten davor, die Baumgrenze zu überschreiten, extrem groß sein die Gefahr von Nassschneerutschen, da die außergewöhnlich mächtige Schneedecke praktisch kaum mit einem gefrorenen Untergrund verbunden sei, sondern vielmehr sogar über weite Flächen auf einer Matsch/Wasserzone liege. Und da die Baumgrenze hier im Engadin schon 200 Meter über dem Talgrund liegt, bleibt da also nicht viel übrig. Machen wir halt einen Regenerationstag. Schaden kann´s sicher nicht.

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