2024-07-05 20:06

Der lange Weg zurück nach Roth

Work-Life-Balance für Fortgeschrittene.

--- Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nützen ---
(Lucius Annaeus Seneca, Von der Kürze des Lebens 1, 3)
Samstag, 15. November 2008
Diavolezzaaaahh
Quelle: eigenes Bild
Themengruppe: Alpinski
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Wir sind mal wieder dem tristen Novembergrau entflohen. Nicht ganz unschuldig für den Kurztrip waren die Engadiner Webcams, die äußerst werbewirksame 50cm Neuschnee über´s Internet verbreiteten. Als dann noch klar war, dass am Samstag und Sonntag ein wolkenloser Himmel und Windstille zu erwarten ist, war die Entscheidung gefallen. Weil die Pässe im Engadin über 1800 Meter recht deftig eingeschneit wurden, führte uns der Weg diesmal nicht wie sonst üblich durch´s Rheintal und dann weiter über den Julierpass ins Engadin. Wir wählten diesmal lieber den Weg am Inn entlang. Dieses eine Tal zerschneidet die Ostalpen regelrecht in 2 Hälften und zieht sich von Rosenheim immer südwestwärts bis zum Maloiapass. Und von da sind´s gerade nochmal 30 km Luftlinie zu den Oberitalienischen Seen. Irgendwann fahr ich da mal mit dem Rennrad hoch. Ganz bis zum Maloiapass (dem berühmten Startort des Engadin Ski Marathons, der für nächstes Jahr wieder ganz fest auf dem Programm steht) führte uns diesmal unser Weg aber nicht. Am Golfplatz (bald wieder Skating-Paradies) von San Gian bei Celerina geht´s links hoch in Richtung Berninapass bis nach Pontresina. Die Szenerie könnte nicht winterlicher sein. War ab Scuol der immer dichter werdende Nebel unser ständiger Begleiter, so war dieser am Ortseingang von Pontresina plötzlich wie weggeblasen. Dafür stürzte die Temperatur auf -6 Grad ab. In der sternenklaren Nacht leuchteten die tief verschneite Landschaft im Mondlicht und versprach für den kommenden Tag ein fantastisches Wetter.
Am nächsten Morgen war nach kurzem Abwägen die Entscheidung gefallen. Alpin-Ski. Eigentlich hatte ich mir ja nach dem Debakel vom letzten Jahr (wir hatten vergeblich versucht in Sölden im November an einem Wochenende Ski zu fahren und haben den Versuch um 13.00 Uhr vergeblich abgebrochen ohne auch nur einen Meter gefahren zu sein. An jedem Liftchen waren Trauben wie bei Open-Air-Rockkonzerten. Immerhin passte so wenigstens die Optik zum Deppentechno-Gewummer der irrtümlicherweise als Gaststätten bezeichneten Lokalitäten zur industriellen Massenabfertigung der abzukassierenden Touristenhorden) geschworen, nie wieder im Herbst zum Skifahren an einen Gletscher zu fahren. Die Bedingungen waren aber so außergewöhnlich gut, dass ich den Vorsatz kurzerhand über Bord warf.
Also der Bequemlichkeit halber alles rein ins Auto und die Passstrasse hoch bis zur Diavolezza. Als Plan B hatten wir vorsorglich auch die Schneeschuhe mit eingepackt. Sollte der Ansturm zu groß sein, dann wären wir halt ins Val da Fein hochmarschiert (da waren wir heuer zwar schon zweimal, einmal mit Schneeschuhen und einmal bei Dauerregen mit dem Bike. Das abgelegene Tal ist aber so schön gelegen, dass es auch locker noch für einen dritten Besuch hergehalten hätte). Doch die Befürchtungen waren völlig unbegründet. Nachdem wir unseren Tagesausweis hatten, ging´s mit der Gondel hoch zur Diavolezza auf rund 3000m. Ich war schon ewig nicht mehr so hoch, einen kurzen Besuch an gleicher Stelle vor 3 Monaten einmal ausgenommen. Mit dem Bike waren Eisjöchl mit gut 2900 und die Dreisprachenspitze und der Greitkofel mit gut 2800 Meter die höchsten Punkte der letzten Jahre. Einzig ein Skitag am Corvatsch vor 10 Monaten lag da deutlich drüber.

Heute machte mir die Höhe rein gar nichts aus, einzig am etwas erhöhten Puls merkte man die ungewohnte Höhenlage. Mal sehen, ob der Aufenthalt (angeblich sollen ja die in der Höhe verbrachten Nächte das ausschlaggebende Kriterium sein) in der Höhenlage den Körper dazu bringt, ein paar Blutkörperchen nachzuschieben. Trainingsreize habe ich auf jeden Fall genug gesetzt.
Bedingt durch die begrenzten Beförderkapazitäten der Doppelgondel, war die Talabfahrt im Vergleich zu anderen Skigebieten fast leer. Der frische Pulverschnee und die gleißende Sonne verleiteten dazu, die 900 Höhenmeter am Stück hinabzuheizen, was an der Talstation der Gondel die Oberschenkel mit deutlichem Brennen quittierten. Nachdem ich mich etwas eingefahren hatte, konnte ich es nicht lassen, mich an ein paar kleineren Varianten zu probieren. Irgendwie hatte ich hier aber kein Glück. Einmal waren die Hänge zu flach zum Schwingen, einmal mit Löchern übersät (von denen mir eins auch glatt einen Abwurf bescherte), dann wieder mit Steinblöcken gespickt. Aber was soll´s wir haben Mitte November. Jetzt gute Freeride-Verhältnisse einzufordern, wäre absolut anmassend. Immerhin war die Piste in einem wirklich perfektem Zustand.
Der heutige Skitag hat mich wieder ein bisschen mit dem Pistenskifahren versöhnt. Wenn wenig los ist und die Bedingungen passen, kann es durchaus ein Genuss sein. Ein Umstand, den ich wohl noch vor einer Woche grundlegend verneint hätte.
Einfach zu wenig erbaulich waren die Erfahrungen insbesondere der letzten 5 Jahre in den typischen österreichischen Massendestinationen wie Sölden, Ischgl, Obertauern, Flachau oder Saalbach. Vom Herbst-Gletscherski-Horror im Stubai-, Tuxer- oder Ötztal gar nicht erst zu reden. Einzig der Arlberg konnte mit ein wenig authentischem Flair und erstklassigem Variantengebiet punkten. Insgesamt wurde mir aber die Freude am Alpinskifahren ziemlich gründlich verdorben.
An Tagen wie heute kommt die Faszination des Sports aber wieder durch. Mal sehen, vielleicht werde ich diesen Winter doch öfters mal die Tourenski anschnallen und eine Tour mit ein bisschen Pistenskifahren verbinden.

Was mich aber richtig heiß gemacht hat, war der Blick von der nach oben schwebenden Gondel auf die klammheimlich gespurte Skating-Loipe. Kein Wörtchen war davon im Internet zu finden. Offenbar wurde die ungefähr 3 km lange Spur nur für die Engadiner selbst angelegt. Ich könnte mich wo hin beißen, daß ich meinen ganzen Langlauf-Krempel zu Hause gelassen habe. Platz genug wäre im Auto locker gewesen. Wer kann schon ahnen, dass hier am dem Parkplatz Diavolezza eine absolut geniale Höhenloipe auf 2100 Meter existiert. Das wäre für morgen die perfekte Ergänzung zum heutigen Tag gewesen.

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