2024-07-05 22:24

Der lange Weg zurück nach Roth

Work-Life-Balance für Fortgeschrittene.

--- Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nützen ---
(Lucius Annaeus Seneca, Von der Kürze des Lebens 1, 3)
Samstag, 4. Oktober 2008
Bocca di Trat (Rif. Nino Pernicci)
Quelle: eigenes Bild
Themengruppe: Mountainbike
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Der Blick aus dem Hotelzimmer beseitigt alle Zweifel. Die Sonne knallt von einem stahlblauen Himmel, wie es ihn nur im Frühjahr und Herbst am Lago (di Garda) gibt. Un auch der Blick hoch zum Altissimo zeigt kompromisslos, was Sache ist. Die obersten 300 Meter sind weiß. Nicht nur ein bisschen angezuckert. Nein. Weiß, richtig weiß. Da hat das Gewitter gestern ganze Arbeit geleistet.
Es ist wieder mal eine typische Nordföhnlage. Gestern gab´s am Brenner noch Schnee bis runter auf 1100hm und heute ist hier allerfeinstes Herbst-Tourenwetter. Allerdings ist es am Morgen noch so kalt, dass wir es sehr ruhig angehen lassen und erst um 11.00 Uhr am Bike sitzen. Die Fahrt hoch auf der Ponalestraße ist wieder nur mit dem Begriff “Weltkasse” einigermaßen zu beschreiben. Der Blick geht bis tief nach Süden über den windstillen See zu den norditalienischen Ebenen. Gegenüber strahlt das Montebaldo-Massiv unten sattgrün und oben blendend weiß. Nach Norden erkennt man die schneebedeckten Gipfel entlang des Sarca-Tals. Unten liegt der tiefblaue See und oben strahlt die Sonne.
Vor lauter Schauen merke ich fast gar nicht, dass wir schon an der Abzweigung zum Ledrosee sind, an dem die alte Ponalestraße sich vom Steilufer verabschiedet und immer gleich sanft ansteigend nach Westen abzweigt. Oben am Ledrosee die gleiche Szenerie wie unten, nur irgendwie wilder, alpiner. Der Blick nach Süden zeigt den Tremalzo. Natürlich verschneit. Nur zu gern erinnere ich mich an die ersten Touren heuer im Frühjahr, wo wir noch etliche größere Schneefelder schiebenderweise passieren mußten. Auch heute dürfte es da oben recht frühwinterlich sein. Unser Weg führt uns aber heute rechts abzweigend in ein Hochtal und von dort über viele Serpentinen hoch zur Bocca di Trat. Trifft man da schon in der Saison nicht allzuviele Biker ist es um diese Jahreszeit Abgeschiedenheit pur. So muß es überall am Lago gewesen sein, als die Pioniere das Gebiet vor gut 20 Jahren bikenderweise eroberten. Die südliche Exposition der Auffahrt macht es noch lange möglich “kurz-kurz” zu fahren. Erst oben im freien Almgelände macht es ein recht frischer Wind notwendig Handschuhe und Gore-Tex-Jacke anzuziehen.
Oben an der Bocca die Trat wechselt man dann schlagartig auf die schattige Nordseite. Und das hieß diesmal Schnee und vereiste Stellen bei Dauerfrost im Schatten. Selten war das leicht oberhalb gelegene Rifugio Nino Pernicci so einladend. Oben im Rifugio war dann überraschenderweise richtig gut was los. Ca. 20 Biker versuchten sich für die anstehende Abfahrt aufzuwärmen. Die deftige, authentische Trentiner Küche tat dazu ihr übriges. Selbst die jetzt im Oktober immer noch austrainiert aussehenden Team-Trikot-tragenden Biker langten richtig kräftig zu. Weil nur noch ca. 20 hm Gegenanstiege bis Riva zu erwarten sind, gönnten wir uns auch eine richtige Bergsteigerportion Pasta mit Nüssen und Speck. Dazu einen Russen und natürlich genügend Wasser, um die Defizite auszugleichen.
Die anschließende Abfahrt zur Malga Grassi ist wohl nicht nur unter Expertenkreisen als Adrenalina-Downhill bekannt. Seitdem im letzten Jahr der Weg erneuert wurde, ist es nur noch ein einziger Genuss die steile, aber jederzeit gut beherrschbare Abfahrt hinunterzuheizen. Auch ohne 200mm Federweg kommt da richtiger Flow auf. Den schwierigeren 2. Teil hinunter nach Campi schenkten wir uns, weil viel neues Laub und der Regen der letzten Nacht die Verhältnisse ziemlich happig gemacht hätten. Also gab es einen Speed-Downhill auf bester Forstpiste, später dann betoniertem/geteertem Weg nach Campi. Und dann ab Campi runter nach Riva. Wieder ein einziger mit Flow zu fahrender uralter, sausteiler Weg direkt über den Dächern von Riva, der einen direkt am Tor zur Altstadt ausspuckt.
Es sind Tage wie dieser, die einem für Wochen mit der Energie aufladen, die einem das herbstliche Bayern wieder höchst erfolgreich aussaugt.

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